Nachdem die Musik-Idole meiner Jugend allmählich wegsterben, mal ein paar sehr persönliche Kurzsteckbriefe zu großen Musikern und Interpreten:
J. S. Bach: Musikalische Mathematik oder mathematische Musikalität? Man meint, das Uhrwerk des Metronoms mitticken zu hören: Unglaubliche Rationalität, Krebse der Umkehrung, Handwerk des 4-stimmigen Satzes – trotzdem feinste Musikalität. Man kann über Beatles, Annihilator, AC/DC streiten, auch über Mozart oder Wagner. Über Bach – NIE.
Frank Zappa: Viel zu früh gestorben – da wäre noch viel, sehr viel gekommen. Zappa hat sich immer als professioneller Darbieter VOR oder sogar NEBEN seine Musik gestellt. Eine unerreichte Distanz von Musik und Interpret – darbietend, ironisch: „Das haben wir jetzt – ich spiele euch noch eins“. In der jetzigen Zeit der schwer erträglichen Identifikation von Musik und Interpret (Pop, Lang Lang…) eine befreiende Rationalisierung. Dabei faszinierend: Diese distanzierende Objektivierung der Musik geht einher mit einer perfektionistischen Besessenheit, die den Gegenstand absolut ernst nimmt.
Helge Schneider: Ich bin kein Fan. Aber der Mann ist ein Unikum, insofern er musikalisch wirklich was kann, aber so tut, als könne er nichts. Das ist die genaue Umkehrung dessen, was der „Künstler“-Mainstream tut.
Metallica: Die Band hat einen exzellenten Gitarristen und einen unverkennbaren Sänger – aber das ist es nicht: Metallica macht das Schlagzeug zum echten Instrument, das die Stücke präzisiert, gliedert, zum Teil dominiert. Rhythmisch leistet Metallica das Komplexeste und präzisest Strukturierte, was Rockgeschichte zu bieten hat. Ich verneige mich ehrfürchtig. Schalte aber oft schon beim zweiten Stück wieder ab…
Lang Lang: Wenn man den HÖRT, fällt einem nicht viel ein. So spielt ein perfekter Pianist eben Beethoven oder Liszt. Wenn man ihn bei seiner Selbstinszenierung SIEHT, wird die gehörte Musik zum missbrauchten Gegenstand. Unerträglich.
Bob Dylan: Der Mann kann eigentlich nicht singen, und er hat kein Rhythmusgefühl. Es gibt gemeinsame Auftritte mit Eric Clapton, wo letzterer ziemlich verzweifelt schaut, weil die Einsätze nie klappen. Trotzdem ist er der ergiebigste lyrische Barde seiner Zeit. Man weiss nicht genau warum, aber es gilt. Wir gönnen ihm seine 16 Badezimmer. Den Literatur-Nobelpreis nicht – der ist ein Witz.
Joe Cocker: Der britische Klempner war eine Naturstimme. Nicht mehr, aber kein austauschbares Milligramm weniger. Nicht mehr, weil er vermutlich von Musik nicht das Geringste verstand (das ließe sich recherchieren, aber das halte ich für unnötig).
AC/DC: Der Sänger kann schon seit 15 Jahren nicht mehr singen. Der Schlagzeuger haut grundsolide den Takt, und über die Virtuosität des Lead-Gitarristen werden die wahren Gitarren-Künstler schmunzeln. Warum ist AC/DC trotzdem mit die beste Band klassischen Hardrocks? Weil alle diese 3-4-Minuten-Songs (Schema: Intro, 3 Strophen und Angus-Solo nach der zweiten) immer eine stimmige prollige Einheit simpler dreckiger Gitarrenriffs und simpler dreckiger Texte herstellen. Und die Band, die sie vorführt, tut mindestens so, als würde sie dies authentisch leben. Man glaubt ihr.
Mozart: Der klingt mir zu leicht. Manche Vorhalt-Ritardandi sind auch einfach eines zu viel. Man hat immer den Eindruck, Mozart haut das anstrengungslos raus, ohne Mühe, ohne Ringen. Kann man bewundern, was scheinbar ohne Willensanstrengung, Pflicht, Ethos perfekt gelingt? Ja sicher kann man, genau das ist das Genie. Ich kann es nicht – da bin ich klar auf der Seite des grüblerischen Beethoven.
Joe Satriani: Gitarren-Gott mit Hang zum gesanglichen Pathos, das aber meistens zu mechanisch daherkommt: Da fehlt oft ein Stück Musikalität und Überraschungsmoment, wenn das Thema dann stereotyp in der Subdominante wiederholt wird. Harmonisch immer sehr absehbar, trotzdem ein ganz großer Saiten-Frickler…
Yingwie Malmsteen: Gitarrenmaschine. The Unbelievable – ungefähr so sympathisch wie Lang Lang am Flügel – inszenierte Virtuosität.
Richard Wagner: Wagner-Opern haben berauschende Momente, wo sich die immer wieder auflösende und steigernde Suche nach einem klassischen Dominantsextakkord erlöst oder doch wieder in halb zweifelnden Mischharmonien öffnet. Ich bin aber leider mit 4-Minuten-Songs sozialisiert worden und tu mich schwer, für fünf solcher Momente drei bis fünf Stunden Zeit zu investieren.