August 2020: Seit Monaten herrscht auf Platz 1 der Rangliste von Distrowatch eine Distribution, der man eigentlich nur eine Nischendasein zutraut: MX Linux. Was sind die Gründe für das offensichtlich große Interesse an diesem System?
Die nur auf sich selbst bezogene Klickperformance von distrowatch.com sollte niemand überschätzen. Platz 1 auf Distrowatch ist kein Indiz für die tatsächliche Verbreitung einer Linux-Distribution. Dennoch ist dies für uns Anlass genug, einen genaueren Blick auf MX Linux zu werfen. MX Linux wurde im Frühsommer auf Version 19.2 aktualisiert, erhielt aber schon vorher diese erstaunliche Beachtung. Die Heft-DVD liefert MX Linux 19.2 in der 64 Bit-Variante mit. Die 32-Variante sowie eine Spezialvariante für sehr alte Hardware erhalten Sie unter https://mxlinux.org/download-links/.
Was kennzeichnet MX Linux?
Die Basisrezeptur von MX Linux ist nicht aufregend: Die Systembasis stellt ein konservatives Debian Stable 10 („Buster“), und als Desktop arbeitet ein ebenso konservativer XFCE 4.14. Linux-Kernel und vorinstallierte Software sind nicht mehr taufrisch, aber halbwegs aktuell. Der MX-eigene Installer ist funktionsarm und eigentlich nur für die Installation als alleiniges System zu empfehlen, Systemverschlüsselung mit Cryptsetup ist aber komfortabel integriert. Im installierten MX Linux finden Sie für die Softwareverwaltung die relativ spröden Alternativen MX Paket-Installer (mit Flatpak-Integration) oder Synaptic oder den noch spröderen Antix-Terminalinstaller oder schlicht das Terminalprogramm apt. Bei systemnahen Aktionen muss der Nutzer zwischen sudo-Benutzerkonto und root-Konto unterscheiden – in vielen Fällen ist tatsächlich das root-Konto notwendig. Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass Sie bei größeren Updates eventuell erneut nach dem Ort des Grub-Bootloaders befragt werden – in der Regel „sda“. Die Software-Ausstattung ist opulent, die Fülle der zusätzlichen, zahlreichen Systemtools aber erst einmal unübersichtlich bis verwirrend, zum Teil redundant.
System- und Desktop-Werkzeuge: Damit sind wir aber an dem Punkt, wo die Waage bei MX Linux ins Positive kippt: Die Distribution ist mit Sorgfalt und Liebe zum kleinsten Detail ausgestattet, der XFCE-Desktop zeigt sich bereits ab Installation von seiner feinsten Seite. Aber die vielen MX-eigenen System- und Einstellungstools fördern darüber hinaus die Anpassung zu einem individuellen Desktop. Die „Einstellungen“ des Xfce4-Settings-Manager gehen über den üblichen Umfang deutlich hinaus: Neben eingebauten externen Tools wie System-Config-Samba (grafische Samba-Verwaltung) kommen vor allem MX-Eigenentwicklungen hinzu. „MX-Tweak“ ist einschlägig für die optimale Bildschirmskalierung (neben dem üblichen „Anzeige“-Applet), „MX-Werkzeuge“ (mx-tools) präsentiert eine opulente Sammlung von Systemwerkzeugen. Manches ist marginal, manches wie das Löschtool MX-Cleanup oder der MX-Menü-Editor auch in besserer Ausführung zu finden, aber unterm Strich bietet die Toolsammlung wirklich alles, was man an System- und Anpassungswerkzeugen erwarten kann. Die Sammlung von Conky-Desktopinfos (auswählbar mit dem Conky Manager) oder die grafische Bearbeitung der Bash-Konfiguration tendieren zu Detailverliebtheit. Handfester sind der „Benutzer-Manager für MX“, grafische Hilfen zur Bootreparatur („MX Bootreparatur“) und zur Anpassung des Grub-Bootmanagers („MX Boot Optionen“).
Ein weiteres Werkzeugpaar erscheint in der Sammlung der MX-Tools an oberster Stelle und nennt sich „MX Schnappschuss“ und „MX Live USB Erzeugung“. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Tools einen Teil zur Popularität von MX Linux beitragen. Der Schnappschuss schreibt ein komplettes, angepasstes System in eine ISO-Datei, das dann mit dem zweiten Tool auf USB übertragen wird. Das Ergebnis ist ein perfekt ausgestattetes Livesystem auf USB. Ähnliches ist mit Linux auch auf anderen Wegen erreichbar, aber nirgendwo einfacher als hier.
Semi Rolling: MX Linux ist ein Semi-Rolling-Release – ein Kompromiss zwischen „Regulär“ und „Rolling“. Anders als bei regulären Distributionen wie Ubuntu & Co gibt es hier zwischendurch neue Software-Versionen, allerdings nur für Pakete, die größere Entwicklungssprünge gemacht hat – dies ist der Unterschied zu einem echten „Rolling Release“. Ziel ist es, einerseits höhere Aktualität zu bieten, andererseits Pannen durch Upgrades zu minimieren. Solange dies funktioniert, müssen Sie MX Linux niemals neu installieren.
Die Einrichtungsvarianten
MX Linux charakterisiert sich als mittelschweres System (https://mxlinux.org/). Dies ist wohl seiner Nachbarschaft zu Antix Linux geschuldet (https://antixlinux.com/), mit dem es in enger Kooperation steht. Antix definiert sich eindeutig als Recycling-Spezialist für Hardware-Oldies. MX Linux ist aber bei allem Anpassungskomfort ein ebenfalls sehr genügsames und auch auf älterer Hardware agiles System. Bei kaum 450 MB Eigenbedarf für die 32-Bit-Variante sollte theoretisch schon ein GB RAM genügen. Ältere Notebooks mit 2 bis 4 GB sind ein ideales Ziel für die Distribution.
Ordentliche Installation: Die Einrichtung als alleiniges System ist nicht kompliziert: Im Bootmenü des Livesystems wählen Sie mit F2 die Sprache „Deutsch“ und mit F3 die Zeitzone „Berlin“. Dann starten Sie den obersten Eintrag „MX-19.2“. Eventuelle Fragen nach der Grafikkarte quittieren Sie ohne Auswahl mit Eingabetaste, starten zum Desktop des Livesystems und klicken auf den Installer-Link am Desktop. Als „Art der Installation“ wählen Sie „Automatische Installation“, womit MX Linux die gesamte Festplatte „sda“ übernehmen darf. Neben den Daten für den Erstbenutzer, die Sprache und die Zeitzone will der Installer ein root-Kennwort, einen Computernamen sowie die Samba-Arbeitsgruppe und einen Domain-Namen. Das Prozedere ist umständlicher als von Ubuntu & Co gewöhnt, aber letztlich pragmatischer, als diese Einstellungen später im laufenden System zu suchen. Zu diesem Installer-Konzept passt, dass man optional auch schon Standarddienste vorab ein- oder ausschalten kann.
Live-Betrieb auf USB: MX Linux ist nach dem Vorbild von Antix auch für den Live-Betrieb spezialisiert und läuft auch auf älterem USB 2.0 flüssig. Auf die Möglichkeit, mit zwei MX-Tools ein installiertes System im Handumdrehen auf USB zu befördern, haben wir bereits hingewiesen. Wenn dies der geplante Einsatz sein soll, ist es am besten, MX Linux als virtuelle Maschine unter Virtualbox oder Vmware zu installieren und anzupassen und daraus nach Bedarf ein neues Livesystem zu bauen. Das virtuelle System kann durch Updates aktualisiert werden.
Die Spezialisierung für den Live-Betrieb geht allerdings weiter: MX zeigt als Livesystem im Bootmenü den Punkt „Persist“, der mit F5 ausgeklappt werden kann. Von den vielen angezeigten Optionen empfehlen wir „persist_root“, da alle anderen Möglichkeiten entweder langsam sind oder einen lästigen Fragenkatalog mitbringen. Die Option speichert Änderungen am System im RAM, und beim Herunterfahren müssen Sie die Übernahme dieser Daten ins Livesystem explizit bestätigen. Damit ist ein flexibles MX Linux auch im Live-Betrieb möglich. Für große Änderungen empfehlen wir aber erneutes Remastern eines installierten Systems.